Wasser im Keller, geflickte
Leitungen, ungenaue Reparaturpläne - was ein
ehemaliger Wartungsingenieur bei Arbeiten im
Atommeiler Biblis erlebte
BIBLIS. Pfusch am Bau
"Ich gehe da nicht
rein. Da stimmt was nicht. "
"Sie gehen da rein. Wenn Sie's nicht tun, dann
können Sie sich Ihre
Papiere holen. Sofort." "Also bin ich reingegangen",
sagt Hans Brenner.
Im Schacht war es dunkel. Brenner hatte nur
eine Taschenlampe dabei. Dann
sah er die Tropfen am Rohr. Auf dem Boden
hatte sich Wasser gesammelt. An
den Wänden konnte er weißliche Ränder sehen.
Brenner kannte das. Man
nennt diesen Belag Salzausblühungen. "Das passiert,
wenn Beton zu lange
unter Wasser steht", sagt er. So etwas sollte es hier
nicht geben. Auch
kein tropfendes Wasser und keinen Rost.
"Es sah gammelig aus", sagt Brenner. Dort unten im
Keller des
südhessischen Atomkraftwerkes Biblis B am Rhein, sechs
Meter unter der
Erde, im Rohrkanal für das Notkühlsystem. Und es
war gefährlich. Als
Brenner eine halbe Stunde später den Kontrollbereich des
Kraftwerks
verlassen wollte, signalisierten die Alarmsysteme
ein Problem. Lichter
blinkten, Klingeln schellten, Männer in Schutzanzügen
rückten an.
"Kontamination", sagt er.
Brenner war im Rohrkanal verstrahlt worden.
So stark, dass selbst langes
Duschen nichts half. Er hatte radioaktives
Kobalt-60 in der Lunge. "Da
haben sie mir spezielle Reizmittel gegeben
und mich schnäuzen und
abhusten lassen." Erst als die Instrumente Entwarnung
gaben, durfte er
den Kontrollbereich verlassen. Ein Mann vom
Strahlenschutz sagte damals
zu ihm, es sei leichtsinnig gewesen, in den
Rohrkanal zu kriechen: "Wenn
der Rhein steigt, steht dort schon mal alles
unter Wasser. Da ist
Strahlung."
Das war am 7. Februar 1996.
Zehn Jahre später steht Hans
Brenner an einem Spätsommertag
auf einer
Wiese am Fluss, im Hintergrund leuchten die
zwei charakteristischen
Kuppeln und die Kühltürme des Atomkomplexes von Biblis
in der Sonne. Hans
Brenner, 58 Jahre alt, Maschinenbauingenieur
aus Hessen, war mehr als
zwanzig Jahre in der Entwicklung von Sicherheitssystemen
der
Atomindustrie tätig. Heute arbeitet er für ein großes
Elektronikunternehmen. Er sagt: "Forsmark hat mir Bange
gemacht."
Forsmark ist das schwedische Atomkraftwerk,
das vor zwei Monaten knapp
einer Kernschmelze entging. "In Biblis kann Ähnliches
geschehen. Die
Anlage ist so, wie sie läuft, nicht sicher." Beim
Betreiber von Biblis,
dem Essener Energiekonzern RWE, kennt man
die Aussagen Brenners. Man habe
sich damit auseinandergesetzt, sagt die Biblis-Sprecherin
Rita Craemer:
"Es hat sich aber herausgestellt, dass die Vorwürfe nicht
haltbar sind."
Am Dienstag dieser Woche hat RWE eine dreijährige Verlängerung
der
Laufzeit für Biblis A beantragt. Damit hat der Energieriese
faktisch den
Atomkonsens zwischen den AKW-Betreibern und
der Bundesregierung
aufgekündigt. Dieser legt fest, dass Biblis A spätestens
2008 und der
baugleiche Schwesterreaktor B bald darauf
abgeschaltet werden müssen.
Weil beide Druckwasserreaktoren zu den ältesten Atommeilern
Deutschlands
zählen. "Ich war 1997 auch einmal im Block A. Es
sieht dort genauso
marode aus wie im Block B", sagt Hans Brenner.
Bis vor
vier Jahren war Hans Brenner noch selbst in
Atomkraftwerken
tätig. Er ist ein bedächtiger Mann. Ein Befürworter
der Atomenergie, noch
immer. Dennoch hat er oft intern an Missständen Kritik
geübt. "Wenn
man
es aber öffentlich tut, gilt man als Nestbeschmutzer",
sagt er. Deshalb
will Brenner nicht mit echtem Namen genannt
werden. "Aber diejenigen, die
es angeht, wissen, wer ich bin", sagt er. Es gibt Schriftwechsel.
Unterlagen. Der TÜV hat Brenners Verstrahlung dokumentiert.
Die
Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln hat ihn
angehört,
im Mai 2005.
Denn was er zu sagen hat, betrifft den sensibelsten
Bereich von Biblis:
die Notkühlung. Brenner sagt: "Dieses System ist
falsch berechnet
worden."
Wenn es in einem AKW ein Leck gibt und Wasser
aus dem Kühlkreislauf
austritt, droht höchste Gefahr - der GAU, der größte
anzunehmende Unfall,
die Kernschmelze. Vor sechs Jahren wurden
im Block A 16 Millimeter tiefe
Risse an einer Schweißnaht im Hauptkühlsystem entdeckt.
Bricht solch ein
Rohr, muss ein Notsystem anspringen. Dass
es damit Probleme geben könnte,
hat Brenner damals, im Rohrschacht von Biblis
B, erfahren.
1998 wandte sich Hans Brenner erstmals an
die hessische Atomaufsicht und
wies auf die Situation in Biblis hin. Die
Behörde fragte
im Kraftwerk
nach und bekam die Antwort, dass Brenner
tatsächlich kontaminiert
wurde,
er aber den Rohrkanal nie hätte betreten dürfen.
Es gebe wohl Wasser in
den Rohrleitungskanälen, aber das sei normal, denn die
würden
als so
genannte Pumpensümpfe bei turnusmäßigen Überholungen
des AKW benutzt.
Stehendes Wasser darf in
einem Atomkraftwerk aber nicht vorkommen. Den
Behörden reichten die Auskünfte des Betreibers RWE
dennoch aus.
Jedenfalls sei bisher offenbar nichts geschehen,
sagt Hans Brenner. "Man
muss Biblis abschalten oder das Notkühlsystem komplett
sanieren, das
kostet allerdings bis zu einer halben Milliarde
Euro."
Hans Brenner ist ein Veteran der Atomkraft.
Von 1976 an arbeitete er als
Spezialist für Rohrleitungen. Jedes Kraftwerk, ob Atom,
Kohle oder Gas,
besteht vor allem aus kilometerlangen Wasserrohren.
Beim Bau solcher
Anlagen tauchen immer wieder Probleme auf.
Brenner war der Mann, den man
holte, wenn es besonders schwierig wurde.
Seit 1982 war er beim
Kraftwerkskonzern Siemens-KWU verantwortlich
für den Einbau der
Sicherheitssysteme im AKW Emsland, später in der
Wiederaufarbeitungsanlage im bayerischen
Wackersdorf.
Bei der Arbeit in Wackersdorf
kamen Brenner erstmals Zweifel an der
Zuverlässigkeit der Atomindustrie. Nicht, weil er die
Technik für
schlecht hielt. Sondern wegen der Arbeitsauffassung
seiner Kollegen. "Die
machten keinen Handschlag zu viel. Manche
waren sogar Alkoholiker." Kein
Wunder, dass die Anlage damals gescheitert
sei. Er nahm 1990 eine
Abfindung und ging.
Nach der Katastrophe von Tschernobyl wurden
keine Atommeiler mehr gebaut.
Brenner heuerte bei einem Unternehmen an,
das Spezialisten für Arbeiten
in Atomkraftwerken suchte. So kam er 1996
mit einer so genannten
Fremdfirma nach Biblis, als man dort die
Rohrleitungen des Notkühlsystems
umbauen wollte.
Seine Arbeitsbögen hat Brenner aufbewahrt. "Aufmaß/Begehung" steht
darin,
fast jeden Tag. "Die Turbinenhalle von Biblis ist blitzsauber",
sagt er.
"Aber sonst ist die Anlage völlig versaut." Versaut,
das heißt in der
Atomsprache: radioaktiv verseucht. "Rohre waren angerostet
oder nicht
sauber verarbeitet, überall Rinnsale. Im Sicherheitsbereich!
Wir mussten
annehmen, dass dieses Wasser radioaktiv war."
Brenner machte noch weitere, erschreckende
Entdeckungen. Er stellte fest,
dass rund dreißig Prozent der Rohre nicht dort waren,
wo sie sein
sollten. Es gab Biegungen, wo Geraden und
Geraden, wo Biegungen in den
Plänen eingezeichnet waren. "Wenn es da kracht, kann
man anhand der Pläne
nicht sicher sagen, was wozu führt. Hier war ein Stück
neu angeschweißt,
dort etwas geflickt worden." Dann gab es noch das Problem
mit den
fehlenden Stempelfeldern. Jedes Rohrstück hat ein so genanntes
Stempelfeld, das vermerkt, aus welchem Werkstoff
es besteht. "In Biblis
aber fehlte jedes vierte Stempelfeld. Das
ist Pfusch." Aber als er das
seinem Chef erzählte, habe der nur gesagt: "Blasen
Sie sich nicht auf,
sonst sind Sie weg vom Fenster." Brenner sagt, seine Berechnungen
seien
nicht in die Pläne übertragen worden.
Der Ingenieur
befürchtet, dass die Rohrleitungen in Biblis
B immer
anfälliger werden. Zudem hat das Notsystem im Prinzip
das gleiche Problem
wie im schwedischen Forsmark: die Notstromaggregate
der Firma AEG, die
dort bei einem Kurzschluss versagten.
Kaum etwas
wird von den Atomkraftwerksingenieuren so gefürchtet wie
ein Leck im Kühlsystem. Man muss es schnell finden, sonst
besteht nicht nur
die Gefahr einer Kernschmelze. Die Keller
könnten voll Wasser
laufen und
lebenswichtige Systeme - zum Beispiel die
Notpumpen - überflutet werden.
In Biblis B stehen alle vier Notpumpen auf
der Ebene "minus 6". Also
dort, wo Grundwasser bei hohem Pegelstand
des Rheins möglicherweise durch
Risse im Beton drückt. "Wenn die Pumpen aller vier
Notfallsysteme unter
Wasser stehen, springen sie nicht mehr an.
Dann stehen wir vor dem GAU",
sagt Brenner.
Seit mindestens 17 Jahren ist dem Biblis-Betreiber
bekannt, dass bei
einem Leck die Pumpen der Notkreisläufe überflutet
werden könnten. Doch
offiziell heißt es, alles sei unter Kontrolle. Noch am
vergangenen Montag
erklärte der Konzernchef Harry Roels, man habe seit 1999
rund eine
Milliarde Euro in die Erneuerung der Sicherheitssysteme
von Biblis
gesteckt. Man bewege sich damit international "auf hohem
Niveau".
Henrik Paulitz, Experte der Organisation
Internationale Ärzte
gegen den
Atomkrieg (IPPNW) sieht das anders. Die sicherheitstechnischen
Schwachstellen in Biblis bestünde nicht nur nach Meinung
von
Atomkraftgegnern: "Es gibt zahllose offizielle Dokumente,
die die
Sicherheitsdefizite belegen." Paulitz verfügt auch über
lange Listen von
Störfällen in den beiden Altmeilern. 1989 kam es
in Biblis A zu einem der
schlimmsten Beinahe-Unfälle in deutschen Atomkraftwerken,
als die
Bedienungsmannschaft ein offenes Ventil übersah. Dreimal
fiel wegen
Kurzschlüssen die Stromversorgung komplett aus. Paulitz
sagt, "nach
unseren Informationen ist nur ein sehr kleiner
Teil der Rohrleitungen in
Biblis erneuert worden."
Die hessische Atomaufsicht hat mehrfach eingeräumt, dass
die Anlagen in
Biblis gar nicht dem aktuellen Stand der
Technik entsprechen können, weil
sie eben alt sind. Nur über die Konsequenzen wird seit
Jahren gestritten.
Auf Anfrage teilte die Behörde mit, bei einer gutachterlichen
Prüfung des
Rohrkanals, in dem Brenner damals gearbeitet
hatte, hätten sich keine
Hinweise auf undichte Stellen ergeben. Hochwasser
könne gar nicht
eindringen. Allerdings könnten Kontaminationen innerhalb
des
Reaktorgebäudes nie ausgeschlossen werden. Die Behörde
gesteht auch ein,
dass die Stempelfelder im Notkühlsystem zu einem Viertel
nicht
"
auffindbar oder zu lesen" seien. Noch interessanter ist,
was das Amt gar
nicht beantwortet: die Frage nämlich, warum überhaupt
Abwasser in
Rohrschächte gelangt, die dafür nicht vorgesehen
sind.
Bereits der TÜV aber hatte im März 2005 bestätigt,
dass es im Keller von
Biblis B im betreffenden Rohrkanal "Wasseransammlungen" gibt,
genauer:
"
Spuren von stehendem Wasser". Es handele sich dabei um
"
Restentleerungen".
Hans Brenner hat der Atomaufsicht mehrfach
angeboten, ihr die
Problemzonen in Biblis persönlich zu zeigen. "Aber
es hieß immer, kein
Bedarf", sagt er. Er hatte sich Kopien von Rohrleitungsplänen
gemacht,
weil man ihm immer erklärte, was er gesehen und gemessen
habe, das müsse
falsch sein. Brenner hatte die Halterungen,
die verrosteten Rohre, die
Salzausblühungen fotografiert und in einem Ordner archiviert.
Um zu
beweisen, dass er Recht hat. Doch als dann
fest stand, dass er Biblis
verlassen musste, nach seiner Verstrahlung,
war der Ordner plötzlich
verschwunden. Hans Brenner hält das nicht für einen
Zufall.
>Frank Nordhausen]
Berliner Zeitung, 28.09.2006
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