Vater, Sohn, ein Kleid und zwei Handtücher
Es ist ja ein gern bealbertes Thema: der Unterschied zwischen
Mann und Frau. Nicht der organische, aus
diesem Witzealter habe ich mich halbwegs
erfolgreich befreien können,
nein, es geht um die Unterschiedlichkeiten
der Situationen, die von Betroffenen beiderlei
Geschlechts gemeistert werden können. Plakativ: Frauen können
nicht einparken, Männer nicht... Das wird
jetzt eine lange Liste!
Vielleicht fange
ich einfach an von meinem Vater zu erzählen
(was deutlich kürzer wäre als bei Adam und
Eva zu beginnen). Die Geschichte von meinem
Vater beginnt mit meiner Mutter. Diese wurde
erfolgversprechend in ein Krankenhaus ihrer
Wahl verbracht um sich ihrem Alter entsprechende
Ersatzteile einbauen zu lassen (das wäre
bei Gelegenheit sicher auch noch mal ein
interessantes Thema: Sind wir die Roboter
von morgen?). Mein Vater hat nun also
nach all den Jahren trauter Zweisamkeit in
einem norddeutschen Oberzentrum "sturmfreie
Bude". Was macht man da als angehender 70er?
Ganz klar: Auf Expedition gehen! Dazu bedarf
es keiner Langstreckenflüge und aufregender
Unternehmungen in fremden Ländern, es reicht,
wenn man vor der eigenen Tür nach dem Abenteuer
sucht. Besser noch: Hinter der eigenen Tür!
Für einen Ehemann, der unter dem Begriff
"Hausmann" eher einen vielseitigen Handwerksberuf
vermutet, der in den Gelben Seiten inseriert,
birgt die Abwesenheit der weiblichen Ordnungsmacht
ungeahnte Fallstricke.
Meine Mutter - überraschend schnell auf dem
Weg der Genesung – hatte einen Wunsch geäußert, den
ihr mein Vater natürlich von den Augen
ablas. Sie bat ihn, dass er bei seinem
nächsten Besuch zwei Handtücher mitbringen
möge und ein bestimmtes Kleid. Sie beschrieb
ihm so gut wie möglich Farbe, Form
und Aufenthaltsort und mein Vater verließ
daraufhin das Krankenhaus mit sorgengefalteter
Pensionärs-Stirn. Dazu ist die Information hilfreich, dass der
Gute nicht nur Ingenieur vom alten Schlage
ist, sondern auch Lehrer. Er kann in der
Tat mit einem Rechenschieber eine elektrische
Schaltung schneller berechnen, als andere
das Wort "Computerprogrammabsturz" buchstabieren. Und mit
einer Zeichnung ist nahezu jedes Rätsel dieser
Welt für ihn lösbar. Allerdings stellte ihn
die äußerlich
so harmlos daher kommende Aufgabe seiner
Frau vor ungeahnte Probleme. Denn zum einen
hatte meine Mutter ihm keine Zeichnung
angefertigt und es gab zudem erschwerende
Zusatzinformationen.
Gedächtnisprotokoll eines Telefonates zwischen meinem Vater und
seinem Sohn:
"Ich habe ihr zwei Handtücher
mitgebracht. Die waren ihr aber zu groß."
"Und? Was hast du getan?"
"Ich sitze
gerade mit meinem Zollstock vor
einem Stapel von 28 Handtüchern."
"Aha. Warum?"
"Man kann es ihr ja nicht wirklich
recht machen."
"Aber mit einem Zollstock schon?"
"Naja, ich hab’ jetzt ein Handtuch gefunden,
das fünf Zentimeter
kürzer
ist als die, die ich ihr ins Krankenhaus
gebracht hab’."
"Meinst du denn, dass das reicht? Ich würde
denken es sollten mindestens noch zwei bis drei Zentimeter
weniger sein."
"Ja, vielleicht. Aber das Problem ist, das eine ist hellblau."
"Ja?"
"Sie hat aber gesagt: 'Blau'. Nun bin ich nicht sicher, ob 'Hellblau'
unter die Definition 'Blau' fällt."
"Hmmm." Ich musste einen Moment innehalten. "Ich denke du hast recht.
Dann hätte sie vermutlich auch 'Hellblau'
gesagt. Es muss also ein anderes sein."
"Ich bin ja noch nicht fertig. Das Handtuch soll auch einem bestimmten
Flauschkoeffizienten entsprechen."
"Ist das denn mit dem Zollstock herausfindbar?" Langsam machte ich
mir Sorgen um meinen Vater.
"Nein. Natürlich nicht. Sie hat mir beschrieben, wo ein
vergleichbar flauschiges Handtuch hängt,
das aber in Farbe und Größe nicht passend
ist."
"Ah. Okay. Das hast du aber gefunden?"
"Ja. Aber in dem Stapel existiert kein solches Handtuch. Es soll
ein weißes und ein blaues sein, in nicht
ganz so großer Größe mit eben diesem Flauschigkeitsgrad.
Ich kann das nicht finden. Das ist genau
wie mit dem Kleid!"
"Kleid? Was für ein Kleid?"
"Mama." Mein Vater hat die Angewohnheit in meiner Gegenwart
von seiner Frau als Mama zu reden. Ich fand
das jahrelang recht kurios, bis ich selber
Kinder bekam und eine dazugehörige Mutter. Vermutlich
ist dieses Verhalten in den Genen festgelegt. "Also Mama hat gesagt, sie wolle ein bestimmtes
Kleid. Ich hab’ jetzt aufgegeben, es zu suchen."
"Ich hab’ neulich eine Sendung mit dem Jauch gesehen, in der
Männer
und Frauen drei Gegenstände in einem Unterbaukühlschrank
auf Zeit suchen sollten."
"Und? Du meinst, dass Mama ihr Kleid im Kühlschrank versteckt hat?"
"Nein. Aber das Interessante war, dass die Männer eindeutig
gewonnen haben."
"Hm? Ungewöhnlich."
"Ja. Die haben am längsten gesucht. Die Frauen haben den
Schrank aufgemacht und die Sachen rausgenommen.
Die Männer wären wohl schneller gewesen,
wenn sie erst alles ausgeräumt hätten und dann nur
die Dinge wieder reingestellt hätten, die
nicht gesucht wurden."
"Vielleicht war die Aufgabe nicht eindeutig formuliert."
"Keine Ahnung. Aber das ist wohl das selbe bei dir. Du stehst
vermutlich mit dem Kleid in der Hand vor
dem Schrank und kannst es nicht finden."
"Nein, ich knie im Badezimmer und habe den Zollstock und das
Telefon in der Hand." Kurze Pause. "Sag mal, der
Jauch ist aber auch ne komische Besetzung
für so eine Sendung, findest du nicht?"
"Nee, wieso? Der ist einer der wenigen Moderatoren, die sich
nicht eindeutig zu einer der beiden Gruppen
zuordnen lassen. Da ist er quasi als Unbeteiligter
optimal besetzt. Sag mal, was ist denn nu
mit dem Kleid?"
"Ich hab es nicht gefunden und auch nicht mehr danach gesucht.
Is’ ja auch egal. Mama hat ja ein Kleid mit.
Dann muss sie das eben nochmal anziehen.
Das passt ja schließlich."
"Jap. immer praktisch denken. So. Viel Spaß noch beim
Handtuchvermessen."
"Ich nehm einfach mal das Hellblaue mit und guck mal, was passiert.
Recht machen kann man es ihr ja sowieso nicht."
"Bestell’ ihr mal flauschige Grüße. Aber schön
auf den Koeffizienten achten!"
"Ich glaub’ ich fahr’ gleich mal los, sonst ist
Sie auch noch sauer, dass ich so spät komme.
Dann besser pünklich und ohne Handtücher.
Sie wird ja am Montag verlegt. Vielleicht hat
die Nachsorgeklinik ja zufällig
Handtücher in der richtigen Farbe und Größe
da."
"Wer weiß, vielleicht haben die sogar ein passendes Kleid
für sie."
"Tschüß! Grüß deine Familie"
"Mach ich. Tschühüß!"
Beide legen auf.
Ich greife gleich wieder zum Hörer:
"Hallo Mama? … Ja. … Wie geht's? … Okay. Ja, Pass mal auf. Papa
kommt dich gleich besuchen. … Jaja, er ist
quasi auf dem Weg. Er muss nur noch deine
Handtücher ausmessen. … Nein, im Ernst. Jetzt
pass doch mal auf. Wenn er ankommt, sagst
du ihm bitte, dass die Handtücher in Ordnung
sind und hellblau als Blau durchgeht? … Nein,
das erklär ich dir ein anderes Mal. Aber
du musst ihm unbedingt sagen, dass die Handtücher,
die er dir mitbringt fast okay sind, aber
leider etwa zwei bis drei Zentimeter zu groß.
… Hihi. Ja, genau. … Sehr schön. Dann erzähl
mir nachher mal, was er gesagt hat. Alles
Gute. Tschüß, Mama."
Später, wenn ich mal alt bin, dann will ich ganz genauso werden
wie mein Vater!
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